Folge 1:
Das Parlament hat sie bereits beschlossen, der Rat dürfte sie im Herbst durchwinken: Die neue Bauproduktenverordnung steht vor der Tür. Nach Jahren der Diskussion steht nun fest, wie diese Verordnung aussieht, die große Themen von der Nachhaltigkeit bis zur Normierung lösen will, sich dabei an die gegenwärtige Verordnung anlehnt und doch alles besser machen möchte. Auch wenn noch nicht klar ist, wie sich viele der Neuerungen in der Praxis auswirken werden, eines steht fest: Inhaber von ETAs sollten sich mit ihrer TAB-Stelle in Ver-bindung setzen, um einen nahtlosen Übergang rechtzeitig einzuleiten.
Text Nikolaus Fuchs
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Neuausgabe der EU-Bauproduktenverordnung
Das Parlament hat sie bereits beschlossen, der Rat dürfte sie im Herbst durchwinken: Die neue Bauproduktenverordnung steht vor der Tür. Nach Jahren der Diskussion steht nun fest, wie diese Verordnung aussieht, die große Themen von der Nachhaltigkeit bis zur Normierung lösen will, sich dabei an die gegenwärtige Verordnung anlehnt und doch alles besser machen möchte. Auch wenn noch nicht klar ist, wie sich viele der Neuerungen in der Praxis auswirken werden, eines steht fest: Inhaber von ETAs sollten sich mit ihrer TAB-Stelle in Ver-bindung setzen, um einen nahtlosen Übergang rechtzeitig einzuleiten.
Bauproduktenrichtlinie
Der erste Schritt zur Harmonisierung von Bauprodukten für den EU-Markt war die Bauproduktenrichtlinie 89/106/ EWG [1]. Diese machte eine unionsweit gültige Aussage über die Verwendbarkeit eines Bauprodukts durch die Konformitätserklärung als Grundlage der CE-Kennzeichnung und löste die nationalen Produktzulassungen ab. Weil das Baurecht und damit die Verwendung von Bauprodukten aber in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten blieb, sind die Anforderungen an Bauprodukte für denselben Verwendungszweck je nach Mitgliedstaat unterschiedlich. Da es sich dabei um ein grundsätzliches Problem bei der Harmonisierung von Bauprodukten handelt, wurde – vergeblich – eine Lösung gesucht: Überlegungen auch das Baurecht unionsweit zu harmonisieren, dürften uns heute weltfremd erscheinen oder waren ihrer Zeit einfach zu weit voraus. Die Interpretation einer „grundsätzlichen Brauchbarkeit“ CE-gekennzeichneter Bauprodukte ließ offen, was darunter zu verstehen sei. Zudem mussten die Bestimmungen der Richtlinie – anders als bei einer EU-Verordnung – erst von den Mitgliedstaaten in nationales Recht übertragen werden, was zu einer unterschiedlichen Rechtslage in allen Mitgliedstaaten führte. Heute sind Harmonisierungsrechtsvorschriften daher in der Regel unmittelbar rechtswirksame EU-Verordnungen, die – abgesehen von verwaltungstechnischen Regelungen wie Behördenzuständigkeit – keiner Umsetzung in nationales Recht bedürfen, ja diese sogar verbieten.
Bauproduktenverordnung 305/2011 (EU)
Man beschloss die Bauproduktenrichtlinie durch eine einheitliche EU-Verordnung für Bauprodukte zu ersetzen, die alle Unstimmigkeiten lösen sollte. Mit 1. Juli 2013 trat die derzeit geltende Bauproduktenverordnung [2], abgekürzt BPV, mit einigem Aufsehen in Kraft und vollzog mit der reinen Leistungsdeklaration als Konformitätskriterium den nötigen Paradigmenwechsel gegenüber der Bauproduktenrichtlinie [1]: Nicht die Brauchbarkeit des Produkts ist nun Gegenstand der CE-Kennzeichnung, sondern lediglich die Vergleichbarkeit der verbindlich deklarierten Leistung in Bezug auf die Wesentlichen Merkmale. Die Entscheidung über die Brauchbarkeit für einen bestimmten Verwendungszweck im Mitgliedstaat trifft der Adressat der Leistungserklärung, der Verwender des Produkts. Die harmonisierten Produktnormen beschränken sich darauf, die Wesentlichen Merkmale und deren Bewertungsverfahren festzulegen. Sie enthalten keine Anforderungen an die Produktleistung oder sonstige Beschaffenheit des Produkts, es sei denn auf Basis eines Rechtsakts der Union.
Diese neue, puristische Leistungserklärung bzw. „Declaration of Performance (DoP)“ als Nachfolgerin der schwammigen Konformitätserklärung sorgte rund um das Inkrafttreten der Verordnung für einige Aufregung bei Herstellern und Händlern. Wegen fehlender Anforderungen für die Verwendung sahen manche eine Rückkehr zu nationalen Zulassungen und Kennzeichnungen kommen und der Verwaltungsaufwand erschien hoch. Das Inkrafttreten ohne Übergangszeitraum, wie er bei Normen üblich ist, machte Stress, insbesondere weil die Notifizierung von Zertifizierungsstellen erst mit Inkrafttreten der Verordnung erfolgte. Die Möglichkeit der Bereitstellung der Leistungserklärung via Internet erst ca. ein halbes Jahr nach Inkrafttreten wirbelte besonders viel Staub auf. In einer Sitzung der AdCo-Gruppe der Marktüberwachungen kündigte ein Vertreter von Herstellerverbänden an, die Straßen Brüssels durch LKW-Blockaden lahmzulegen, falls diese Verordnung in Kraft träte. Sie trat in Kraft und nichts passierte, man hat eine pragmatische Lösung für die Handhabung durch die Marktüberwachung gefunden. Abgesehen davon, ob eine Blockade in der chronisch verstopften Unionshauptstadt überhaupt aufgefallen wäre, hat sich die Aufregung gelegt und wir blicken nun auf elf Jahre gelebte Bauproduktenverordnung zurück. Das Prinzip der nach harmonisierten Bewertungsverfahren ermittelten und in der Leistungserklärung transparent deklarierten Leistung erscheint uns nun selbstverständlich und eine Rückkehr zu nationalen Bewertungsverfahren für bereits harmonisierte Produkte absurd.
Ãœberarbeitung der Bauproduktenverordnung
Defizite gibt es in der gegenwärtigen Bauproduktenverordnung allerdings und der Ruf nach einer Überarbeitung begleitete diese Verordnung von Anfang an: Die Ausnahmen von der CE-Kennzeichnungspflicht gemäß Artikel 5 scheitern routinemäßig daran, dass keine gesetzlichen Anforderungen an die Leistung dieses Bauprodukts im Mitgliedstaat bestehen dürfen. Und dieses K.o.-Kriterium verdeckt die Sicht auf eine weitere Unklarheit, nämlich wie ein individuelles Bauprodukt definiert ist. Die Harmonisierung von Produktnormen kam wegen divergenter Interpretationen der Verordnung völlig zum Erliegen, was solange einigermaßen gut ging, bis größere Neuerungen in die Normen aufgenommen werden mussten. Genau das ist jetzt der Fall: Die siebente Grundanforderung der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen blieb zehn Jahre eine nie mit Leben erfüllte Überschrift der Bauproduktenverordnung, muss aber jetzt insbesondere zur Erreichung von Klimazielen und Nachhaltigkeit operativ werden. Dazu braucht es unter anderem neue Bewegung in der Normenerstellung, die von der Kommission durch den sogenannten „Acquis-Prozess“ eingeleitet wurde und mit der neuen Bauproduktenverordnung [3] auf eine solide rechtliche Basis gestellt wird. Auch die Marktüberwachung unter der Bauproduktenverordnung wurde immer wieder kritisiert. Ob teilweise übertrieben oder nicht, die Artikel 52 und 56 der alten Verordnung passen nicht ganz zu den Bestimmungen der Marktüberwachungsverordnung [4] und die Bereitstellung über das Internet ist noch nicht ausreichend berücksichtigt. Dazu kommt eine ganze Reihe von Ungenauigkeiten, Schlupflöchern und Unklarheiten, die in der neuen, umfassenden und leistungsfähigeren Verordnung behoben werden. Und last but not least, wird auch der Prozess zur Erstellung Europäischer Technischer Bewertungen (ETAs) und deren Grundlage, der Europäischen Bewertungsdokumente (EADs), völlig umgekrempelt.
Man hat sich viel vorgenommen. Dass der Entstehungsprozess Jahre gedauert hat und die Verordnung deutlich umfangreicher geworden ist, sollte niemanden überraschen. Sie enthält 96 statt bisher 68 Artikel, 116 Erwägungsgründe (bisher 58) und 64 Begriffsdefinitionen (bisher 28). Ausgehend von der geltenden Bauproduktenverordnung kommen zahlreiche Änderungen. Der Kern der alten Verordnung hinsichtlich CE-Kennzeichnung und Leistungserklärung bleibt jedoch gemäß Artikel 94 für einen Übergangszeitraum von fünfzehn Jahren bestehen und die Bezugnahme auf diese Teile der alten Verordnung gilt als Bezugnahme auf die neue. Durch dieses Ineinandergreifen der alten und neuen Verordnung können bestehende Leistungserklärungen und CE-Kennzeichnungen weiterverwendet werden, solange das Produkt nicht von den neuen Inhalten der neuen Verordnung betroffen ist. Das entschärft den Übergang, auch da hat man aus der Vergangenheit gelernt. Wichtigstes Ziel der neuen Verordnung ist die Umsetzung der Grundanforderung 7, der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen, im Rahmen des europäischen „Green Deal“ und der Klimaziele der Union. Damit sich das Trauerspiel der nicht umgesetzten Grundanforderung 7 der alten Verordnung nicht wegen fehlender Mechanismen und Inhalte wiederholt, wurden nun die nötigen Werkzeuge und eine vollständige Rechtsgrundlage geschaffen.
Literatur und Regelwerke
[1] BMK: Positionspapier zu Auswirkungen energiesparender Maßnahmen auf die Innenraumluft. Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), 2023.
[2] Leusden, P.; Freymark, F.: Darstellung der Raumbehaglichkeit für den einfachen praktischen Gebrauch. In: Gesundheitsingenieur 72, Nr. 16, 271 – 273, 1951.
[3] Allen, J.; MacNaughton, P.; Satish, U.; et al.: Associations of cognitive function scores with carbon dioxide, ventilation, and Volatile Organic Compound Exposures in office workers: a controlled exposure study of green and conventional office environments. Environ Health Perspect 124: 805 – 812, 2016.
[4] Strøm-Tejsen, P.; Zukowska, D.; Wargocki, P.; Wyon, D-P.: The effects of bedroom air quality on sleep and next day performance. Indoor Air Vol 26, Issue 5. 679 – 686, 2016.
[5] Pettenkofer, M. von: Über den Luftwechsel in Wohngebäuden. Cotta, München 1858.
[6] BMK: Richtlinie zur Bewertung der Innenraumluft. Erarbeitet vom Arbeitskreis Innenraumluft im österreichischen Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), Loseblatt-Sammlung, ab 2003.
[7] ÖNORM H 6039: Lüftungstechnische Anlagen – Kontrollierte mechanische Be- und Entlüftung von Schul-, Unterrichts- oder Gruppenräumen sowie Räumen mit ähnlicher Zweckbestimmung – Anforderungen, Dimensionierung, Ausführung, Betrieb und Wartung, 1. Februar 2023.
[8] BMK: Positionspapier zu Lüftungserfordernissen in Bildungseinrichtungen. Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), 2023.
[9] Tappler, P.; Muñoz-Czerny, U.; Hutter, H-P.; et al.: Innenraumschadstoffe durch Verbrennungsprozesse – Ethanol- und Speicheröfen. Beauftragt durch das BMLFUW, Eigenverlag, 2015.
[10] OIB-Richtlinie 3: Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz, OIB-330.3-011/23 bzw. Erläuternde Bemerkungen dazu OIB-330.3-012/23, 2023.
[11] OIB-Richtlinie 6: Energieeinsparung und Wärmeschutz. OIB-330.6-026/23, 2023.
[12] Innenraum-Website des Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), verfügbar unter https:// www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/luft/innen- raum.html, geprüft am 12. Februar 2024.
[13] BMNT: Leitfaden zur Vorbeugung, Erfassung und Sanierung von Schimmelbefall in Gebäuden („Schimmelleitfaden“), erstellt durch den Arbeitskreis Innenraumluft (derzeit BMK), Wien, 2019, verfügbar unter http://www.innenraumanalytik.at/ schimmelleitfaden.pdf, geprüft am 12. Februar 2024.
[14] ISO 16000-41: Indoor air. Part 41: Assessment and classification. 4. August 2023.